Taino und Kariben vor Kolumbus

Taino und Kariben vor Kolumbus
Taino und Kariben vor Kolumbus
 
Die »nackten«, bemalten und federgeschmückten Menschen, die Kolumbus am 12. Oktober 1492 am Strand der Bahamainsel San Salvador antraf, waren Taino, Angehörige eines aruaksprachigen Volkes. Ihre Vorfahren waren gegen Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. aus dem nordöstlichen Südamerika mittels Einbäumen in die Antillen vorgedrungen, hatten die Kenntnis des Maniokanbaus und der Keramikherstellung mitgebracht und nach und nach die älteren Fischer- und Sammlervölker an die äußersten Ränder der Inseln abgedrängt.
 
Um 1200 n. Chr. entwickelten sich aus den sesshaften Dorfgemeinschaften gesellschaftlich differenzierte Häuptlingstümer. Sie bestanden aus regionalen Zusammenschlüssen von Siedlungen mit bis zu 5000 Einwohnern, die von Stammes- und Dorfhäuptlingen, den Kaziken, regiert wurden. Neben Maniok bauten sie auch Süßkartoffeln und Mais an. Während die Kaziken in strohgedeckten Langhäusern am Rand des zentralen Dorfplatzes residierten und reich beschnitzte Holzschemel als Throne benutzten, lebten die normalen Taino in kleineren Rundhäusern, in denen Hängematten die Funktion von Betten besaßen. Zwar bezeichnete Kolumbus die Taino als nackt, tatsächlich trugen sie jedoch Schamschurze aus Baumwolle. Goldschmuck war der Oberschicht vorbehalten und stammte meist aus Südamerika; da die Taino sich nicht auf das Gießen von Metall verstanden, wurde das lokal vorkommende Gold nur gehämmert.
 
Sowohl mit dem Ahnenkult wie mit Fruchtbarkeitsvorstellungen verbunden waren die »Zemi« genannten Gottheiten der Taino, deren oft Schrecken erregende Abbilder sich auf so gut wie allen Gebrauchsgegenständen und Zeremonialobjekten finden. »Zemi«-Figuren aus Holz, Baumwolle oder Muschelschalenperlen wurden oft in trockenen Höhlen aufbewahrt, wo sich manche von ihnen bis heute erhalten haben. Kaziken besaßen oft große Sammlungen von »Zemi«-Figuren, die ihre Macht vergrößern sollten. Um mit den übernatürlichen Mächten in direkte Verbindung zu treten, schnupften die Taino mittels Schnupfröhren ein halluzinogen wirkendes Pulver, nachdem sie sich zuvor durch Erbrechen zeremoniell »gereinigt« hatten.
 
Im Jahr 1492 stellten die Spanier weniger eine Bedrohung als eine mögliche Hilfe für die Taino dar. Kurz zuvor hatte die Kariben begonnen, sich ihren Weg vom südamerikanischen Festland her nach Norden zu bahnen. Im Zuge dieser Expansion kam es zur Herausbildung unterschiedlicher Männer- und Frauensprachen: Während die Männer karibisch sprachen, belegt das Aruak der Frauen, dass sie meist Kriegsgefangene waren. Den Spaniern gegenüber verteufelten die Taino diese Leute aus »Caniba« (aber auch die aruaksprachigen Feinde der näheren Umgebung) als Menschenfresser und lieferten ihnen damit den Vorwand für einen Vernichtungsfeldzug gegen die »Kannibalen«. Den Taino selbst blieb zwar die kriegerische Konfrontation mit den Weißen erspart, ihr Schicksal war aber keineswegs erfreulicher. Zur Zwangsarbeit in den Goldminen und Häusern der neuen Herren verpflichtet, suchten viele jener Taino, die nicht schon Opfer von Unterernährung, Erschöpfung oder Epidemien geworden waren, den Freitod.
 
Prof. Dr. Christian F. Feest
 
 
Alcina Franch, José: Die Kunst des alten Amerika. Aus dem Französischen. Freiburg im Breisgau u. a. 21982.
 Lavallée, Danièle und Lumbrerars, Luis Guillermo: Die Andenvölker. Von den frühen Kulturen bis zu den Inka. Aus dem Französischen und Spanischen. München 1986.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Taino — Nachgebautes Dorf der Taino in Guamá auf Kuba Die Taíno waren ein zu den Arawak gehörendes Volk auf den Großen Antillen – vor der Ankunft der Kariben auch auf den Kleinen Antillen –, dessen Ursprünge im heutigen Venezuela lagen. Auf den… …   Deutsch Wikipedia

  • Taíno — Nachgebautes Dorf der Taino in Guamá auf Kuba Die Taíno waren ein zu den Arawak gehörendes Volk auf den Großen Antillen – vor der Ankunft der Kariben auch auf den Kleinen Antillen –, dessen Ursprünge im heutigen Venezuela lagen. Auf den… …   Deutsch Wikipedia

  • Westindische Inseln — Westindien; Karibische Inseln * * * West|ịndische Ịnseln,   West|ịndi|en, Karibische Ịnseln, die Inselwelt Mittelamerikas, die sich in einem lockeren, 4 000 km langen Bogen zwischen den Kontinenten Nord und Südamerika erstreckt und das… …   Universal-Lexikon

  • Jamaika — Jamaica Jamaika …   Deutsch Wikipedia

  • Amerikanische Ureinwohner — Sitting Bull, Häuptling und Medizinmann der Hunkpapa Lakota Sioux. Foto von David Frances Barry, 1885 …   Deutsch Wikipedia

  • First People — Sitting Bull, Häuptling und Medizinmann der Hunkpapa Lakota Sioux. Foto von David Frances Barry, 1885 …   Deutsch Wikipedia

  • Indigene Völker Amerikas — Sitting Bull, Häuptling und Medizinmann der Hunkpapa Lakota Sioux. Foto von David Frances Barry, 1885 …   Deutsch Wikipedia

  • Indigenen Amerikaner — Sitting Bull, Häuptling und Medizinmann der Hunkpapa Lakota Sioux. Foto von David Frances Barry, 1885 …   Deutsch Wikipedia

  • Native American — Sitting Bull, Häuptling und Medizinmann der Hunkpapa Lakota Sioux. Foto von David Frances Barry, 1885 …   Deutsch Wikipedia

  • Native Americans — Sitting Bull, Häuptling und Medizinmann der Hunkpapa Lakota Sioux. Foto von David Frances Barry, 1885 …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”